Ein Mann des Volkes?

Der liberale Politiker und Abtrünnige aus der Führungsriege der Muslimbruderschaft gilt vielen Ägyptern als neuer politischer Hoffnungsträger. Doch kann Abdel Moneim Aboul Fotouh wirklich die "Mitte der Gesellschaft" repräsentieren? Antworten von Joseph Mayton

Von Joseph Mayton

Schon vor einiger Zeit meinte man in ihm den zukünftigen Reformer der ägyptischen Muslimbruderschaft zu erkennen: Abdel Moneim Aboul Fotouh. Nun sieht er sich dem geballten Zorn der führenden politischen Bewegung des Landes gegenüber. Mehr als 14 Monate nach einem Aufstand, der das Regime von Hosni Mubarak aus dem Amt jagte, greift die Muslimbruderschaft nach der Macht. Im Parlament demonstriert sie politische Stärke und strebt nun auch nach der Präsidentschaft.

Ironischerweise war es eben Aboul Fotouhs Ankündigung, sich um den führenden Posten in der ägyptischen Politik zu bemühen, die ihn Mitte 2011 seine Position in der Führung der Muslimbruderschaft kostete. Die Organisation hatte zuvor mehrfach betont, keinen eigenen Kandidaten für das Amt aufstellen zu wollen, doch im April änderte sich alles.

Um die Militärjunta, die noch immer unwillig scheint, sich von ihrer Macht zu verabschieden, unter Druck zu setzen, beschloss die "Freiheits- und Gerechtigkeitspartei" (FJP), der parlamentarische Arm der Muslimbrüder, ihre zuvor gemachten Ankündigen außer Kraft zu setzen. Sie gab bekannt, Khairat El-Schater zu ihrem Präsidentschaftskandidaten machen zu wollen.

Khairat El-Schater; Foto: AP/dapd
Im politischen Abseits? Neben dem Muslimbruder Khairat El-Schater waren noch zwei weitere aussichtsreiche Kandidaten, nämlich Mubaraks ehemaliger Geheimdienstchef Omar Suleiman und der radikal-islamistische Prediger Hasem Abu Ismail, am Wochenende aus formalen Gründen disqualifiziert worden. Sie haben alle Einspruch eingelegt, über den die Wahlkommission jetzt entscheiden muss.

​​Für Aboul Fotouh, ehemaliger Verbündeter und nun Gegner der Organisation, kommt dieser Schritt nicht unerwartet. Er glaubt, dass die Bruderschaft und die ihr nahestehende Partei die Regeln der Politik sehr schnell verstanden haben – sehr zu ihrem Nachteil.

"Ich vertraue auf das ägyptische Volk"

"In dieser Zeit ist in Ägypten nichts so wichtig wie Ehrlichkeit und in meiner Kampagne geht es deshalb vor allem um Transparenz und Gerechtigkeit für alle Ägypter", sagte er kürzlich in einem Interview. "Dass die Muslimbrüder nun einen eigenen Kandidaten aufstellen, ist für mich unwichtig. Ich vertraue auf das ägyptische Volk und darauf, dass sie es als politischen Schachzug durchschauen."

Nach Monaten der Gewalt und blutiger Proteste ist Aboul Fotouh zu einer Figur geworden, die das Potential zu haben scheint, die verfeindeten Lager zusammenführen zu können. Und das kann durchaus als Überraschung gesehen werden. Denn ursprünglich nur als Islamist bekannt, gelingt es ihm inzwischen, eine Vielzahl unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in Ägypten anzusprechen.

Ägyptens früherer Geheimdienstchef Omar Suleiman; Foto: AP
Harter Schlag für Mubaraks Vertrauten: Ägyptens früherem Geheimdienstchef Omar Suleimanam wurde das Recht auf eine Kandidatur bei der Präsidentenwahl am 23. Mai aberkannt.

​​Er gilt als moderater Kandidat und wurde zum aussichtsreichsten Kandidaten für die Präsidentschaft, bis El-Schater mit seiner Kandidatur die Dynamik des Wahlkampfes veränderte. Doch dann kam der 14. April – der Tag an dem die Wahlkommission völlig unerwartet den Wunschkandidaten der FJP von den Präsidentschaftswahlen ausschloss – gemeinsam mit neun weiteren Kandidaten aus verschiedenen politischen Lagern.

Experten glaubten ursprünglich, dass Aboul Fotouh der Kandidat werden könnte, hinter den sich die Bruderschaft im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Mai stellen würde, doch nun verfolgt diese einen anderen Kurs. Damit heizen sie die Diskussion über die künftige Politik im Land an und auch darüber, ob in Ägypten wieder eine Machtpolitik zum Zuge kommt, die letztlich nur der noch regierenden Militärclique in die Hände spielt.

"Ich bin nicht besorgt darüber, was die Muslimbruderschaft tut. Sie sind nun eine politische Partei und sind ein wenig vom Weg abgekommen, doch ist dies wohl eine Erfahrung, die zum Übergang zur Demokratie dazugehört", meint Aboul Fotouh. "Wir sind auf diesem Weg noch nicht weit gekommen und es ist klar, dass es noch eine Menge Höhen und Tiefen geben wird."

Damit geht er nicht direkt auf die Frage nach dem gebrochenen Versprechen der Bruderschaft ein, keinen eigenen Kandidaten aufzustellen, sondern spricht eher wie ein Politiker, der eine Botschaft an das Wahlvolk richtet.

Hoffnungsträger und Stimme der Jugend

In Kairo selbst gibt es viele, die in ihm ihren Kandidaten sehen und die schon beträchtliche Größe seiner Gefolgschaft lässt sich auch an der Menge der Poster mit seinem Konterfei ablesen, die entlang der großen Straßen hängen.

Heba, eine 23-jährige Studentin, sieht in Fotouh den geeigneten Staatsmann für Ägypten, weil er die Fähigkeit besitze, Liberale und Konservative gleichermaßen zu überzeugen.

"Als Frau glaube ich, dass er ein großartiger Mann wäre, um Ägypten zu regieren, weil er sich für die Rechte der Frauen einsetzt und ihm nicht nur an der Gerechtigkeit gelegen ist, sondern auch weil er offen die Gewalt und die Fehler der Regierung und des Militärs anspricht", sagt sie.

Aboul Fotouh geht es nicht um eine Veränderung der Politik per se, sondern darum, der Demokratie und dem Willen des Volkes zum Durchbruch zu verhelfen, nachdem sie jahrzehntelang vom Regime unterdrückt wurden. Er glaubt, dass seine Kandidatur die Jugend des Landes dazu anregen kann, ihre Stimme im neuen Ägypten zu Gehör zu bringen.

"Die Flamme der Revolution am Leben erhalten"

"Es ist eine gute Sache. Jede freie Meinungsäußerung muss unbedingt ermutigt werden", meint er, angesprochen auf die Rolle der Jugend und darauf, dass sie es sind, die für ihre Vision vom neuen Ägypten kämpfen müssten. "Bei meiner Kandidatur geht es darum, die Flamme der Revolution am Leben zu erhalten und aufzuzeigen, was sie für den Alltag der Ägypter bedeutete und noch immer bedeutet."

Abdel Moneim Aboul Fotouh während einer Wahlveranstaltung der Muslimbruderschaft in Kairo; Foto: Reuters
Von der Muslimbruderschaft ins Rennen geschickt, von der Muslimbruderschaft abgesetzt: Abdel Moneim Aboul Fotouh hatte sich im vergangenen Sommer ohne die Zustimmung seiner Organisation als unabhängiger Kandidat ins Spiel gebracht. Er wurde daraufhin ausgeschlossen.

​​"Ägypten ist ein großes Land und so wie sich die Wahrnehmungen und Ideen verändern, so müssen auch wir Politiker dies respektieren und versuchen, einen Dialog zwischen den verschiedenen Gruppen zu ermöglichen. Als Führer und Kandidaten haben wir dafür Sorge zu tragen, dass sich ihre Vision für ein neues Ägypten in unseren Zielen wiederfindet."

Genau darin aber glaubt er sich von der Muslimbruderschaft zu unterscheiden – vor allem, wenn es um Frauenrechte und die Rolle der Christen im Land geht.

"Ich sitze nicht einfach hier rum und erzähle den Menschen, was und wie sie etwas in ihrem Leben tun sollen. In diesem Punkt bin ich ganz anders als die Muslimbrüder. Ich stimme in vielem mit der Bruderschaft und der FJP überein, doch glaube ich auch an persönliche Rechte und an die Wahlfreiheit der Menschen. Das sehen viele Konservative ganz anders. Sie haben eine sehr feste Vorstellung davon, wie das künftige Ägypten auszusehen hat."

Und genau mit dieser Anschauung ist es Fotouh gelungen, Anhänger in zuvor als unzugänglich angesehenen Wählergruppen zu finden. Immer mehr Konservative wie Liberale sagen dem Mann ihre Unterstützung zu, der bereits in den 1970er Jahren zur Politik fand. Damals noch unter dem Banner der Muslimbruderschaft, ist Aboul Fotouh heute ein Unabhängiger, der durchaus das Zeug hätte, Ägyptens nächster Präsident zu werden.

"Ich bemühe mich, für das Volk zu sprechen, nicht zum Volk. Wenn es das ist, was die Menschen auch wollen, dann werde ich als Präsident mein Bestes geben", sagt er und fügt hinzu: "Bis dahin ist es aber noch weiter Weg."

Joseph Mayton

© Qantara.de 2012

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de