Einmalige Allianz

Mit großer Mehrheit haben die Ägypter Ende März den vom Militär vorgeschlagenen Verfassungsreformen zugestimmt, obwohl diese nur die Amtszeit des Präsidenten begrenzen. Das Votum zeigt, dass das Volk - trotz Missbehagen gegenüber der Armeespitze - dem Militär insgesamt vertraut. Von Salua Nour

In Ägypten hat sich die Armee dem Diktator verweigert und die demokratische Revolution nicht mit Gewalt unterdrückt. Dieses eher untypische Verhalten gründet in einer historisch tief verwurzelten Solidaritätsbeziehung zwischen Militär und Bevölkerung.

Die "Armee in Ägypten" wurde erst spät zur "ägyptischen Armee". Von 300 vor Christus bis zur Herrschaft Muhamad Alis (1805 – 1848) hatten Ägypter keinen Zugang zu den ausländischen Truppen, die ihr Land im Auftrag fremder Herrscher besetzt hielten.

Erst Muhamad Ali machte sich vom osmanischen Reich unabhängig, indem er als Vizekönig die Wirtschaft modernisierte und eine schlagkräftige Armee aufbaute. Ende des 19. Jahrhunderts bestand dann die Armee mehrheitlich aus Ägyptern.

Im Kollektivbewusstsein


Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser; Foto: AP
Als Volksheld und Revolutionär gefeiert: Nasser gelang die Verstaatlichung des Suez-Kanals und konnte sich der Suezkrise von 1956 gegenüber dem Westen durchsetzen.

​​Die Armee stand zwar formal im Dienst der Herrscher, verstand sich aber als antikoloniale Kraft. So sah das auch die Bevölkerung. Seit der Revolution von 1919 bis zum Aufstand von 2011 konnte kein Machthaber die Truppen einsetzen, um Oppositionelle niederzuschlagen.

Im Krieg gegen Israel 1948 versagten König und Generäle; die Niederlage schweißte Volk und Truppen zusammen. Auf dieser Basis putschten 1952 junge Offiziere um Gamal Abdel Nasser, was die meisten Ägypter als Revolution feierten. Nasser versprach soziale Gerechtigkeit und Kampf gegen den Kolonialismus. Selbst als seine Herrschaft diktatorische Züge annahm und die Planwirtschaft nicht die versprochenen Erfolge brachte, blieb die Armee im Kollektivbewusstsein die Kraft, die für nationale Anliegen eintrat.

Nasser bot dem Westen die Stirn. Er nationalisierte den Suezkanal und machte aus der Niederlage im darauf folgenden Krieg gegen Israel, Frankreich und Britannien 1956 einen außenpolitischen Triumph, indem er sich die Unterstützung der Sowjetunion sicherte. Nasser galt im arabischen Raum und in der Dritten Welt als wichtige Führungspersönlichkeit. Die Ägypter verziehen ihm auch Misserfolge wie die Niederlage im Sechstagekrieg 1967.

Politischer Kurswechsel

Nassers Nachfolger Anwar El-Sadat wandte sich von den Zielen arabische Einheit, Sozialismus und Unabhängigkeit vom Westen ab. Die Armee verlor ihre Machtstellung, obwohl sich ihre Spitze als Regimestütze instrumentalisieren ließ. Zum Unterdrückungsapparat wurde die Polizei – mit 1,5 Millionen Beamten personell drei Mal so stark wie das Militär. Sadat und Mubarak nutzten aus, dass Nasser keine demokratischen Verfahren eingeführt hatte und regierten mit permanentem Notstandsrecht.

Ägyptens Präsident Anwar al-Sadat; Foto: AP
Folgenreiche politische Zäsur: Präsident Sadat schaltete den ASU-Apparat Nassers systematisch aus und leitete eine Politik der Öffnung (Infitah) gegenüber dem Westen ein.

​​Ägypten wurde zum Verbündeten des Westens. Dazu gehörten der Friedensvertrag mit Israel, Einlenken in der Palästinenserfrage und die aktive Unterstützung der USA – auch in beiden Irakkriegen und dem "Krieg gegen den Terrorismus".

Dafür floss üppige Entwicklungshilfe, mit der das Regime seinen Sicherheitsapparat ausbaute. Ökonomische Strukturanpassungen führten derweil zu Massenarbeitslosigkeit und sinkenden Realeinkommen. Die Korruption gedieh, weil sich ökonomische und politische Eliten immer enger vernetzten.

Das Militär erhielt enorme materielle und soziale Privilegien. Die Führungskräfte wurden in den engen Kreis der Machthaber integriert, wo auch sie sich ungehemmt persönlich bereicherten. Oppositionell gesinnte Offiziere wurden vorzeitig pensioniert und in Wirtschaftsposten ruhig gestellt.

Wachsende Oppositionspotenziale

In den unteren Rängen aber blieb das Oppositionspotenzial groß, wozu auch die allgemeine Wehrpflicht beitrug. Die Loyalität der Truppen war dem Regime gewiss, solange es nicht die aktive Unterdrückung der Bevölkerung forderte. Derartige Versuche – 1977 wie Anfang dieses Jahres – schlugen immer fehl.

Die Trennungslinien in der ägyptischen Armee verlaufen nicht vertikal wie in der Stammesgesellschaft Libyens, sondern horizontal: zwischen den oberen Rängen und den unteren sowie mittleren Chargen. Ein Teil der Militärspitze mag sich derzeit an Versuchen der Konterrevolution beteiligen. Die ägyptische Bevölkerung kann aber darauf vertrauen, dass die meisten Soldaten im Ernstfall auf ihrer Seite stehen, denn sie sehen sich immer noch als Schützer von Heimat und Volk.

Salua Nour

© Zeitschrift für Entwicklung & Zusammenarbeit 2011

Salua Nour ist Privatdozentin für Politikwissenschaft an der FU Berlin.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de