Mursi unter Druck

Nach dem israelischen Beschuss Gazas versucht der ägyptische Präsident, sowohl seine Wähler als auch die USA zufriedenzustellen. Eine weitere Eskalation könnte den Friedensvertrag mit Israel gefährden. Von Matthias Sailer

Von Matthias Sailer

Es waren nur einige hundert Islamisten, die sich nach dem Freitagsgebet auf dem Tahrirplatz in Kairo versammelt hatten. Sie brüllten zornig gegen die Angriffe auf Gaza und forderten das Ende Israels.

Durch ein Megaphon beschimpfte ein salafistischer Prediger die USA und Europa als Lügner, weil sie noch immer Israel unterstützen. Die einst vom Westen hofierten Diktatoren seien verschwunden und jetzt seien die Muslime am Zug, doziert er scharf. Es ist eine Anspielung darauf, dass der Westen jahrzehntelang israelfreundliche Diktatoren wie Hosni Mubarak unterstützt hatte.

Doch die Stimmung bleibt ruhig: grundsätzlich unterstützen die Demonstranten die bisherige Reaktion ihres Präsidenten Mohammed Mursi auf die Bombardierung Gazas. So auch der 33-jährige Mohammed: "Es war richtig, dass Mursi den ägyptischen Botschafter aus Israel abgezogen hat und auch, dass er den Premierminister nach Gaza geschickt hat.

Innenpolitischer Druck

Präsident Mursi schöpfte bereits früh fast alle diplomatischen Möglichkeiten aus, um gegen Israels Vorgehen in Gaza zu protestieren. Die Angriffe bezeichnete er als "inakzeptabel" und forderte die Einschaltung des UN-Sicherheitsrates. Doch er weiß nur zu gut, dass diese Maßnahme wegen des dortigen Vetorechts der USA, dem Hauptverbündeten Israels, nichts bewirken wird.

Auch das Öffnen des Grenzübergangs zum Gazastreifen in Rafah, um Verwundete in ägyptischen Krankenhäusern zu behandeln, war kein großer Schritt. Mursi musste schon den Premierminister nach Gaza schicken, um dem innenpolitischen Druck standhalten zu können.

Nour El-Din Selim, ein salafistischer Demonstrant, macht klar, warum: "Jetzt haben wir Freiheit. Wir können offen unsere Meinung sagen und auf die Straße gehen, um Gaza zu unterstützen. Hätten wir das unter Mubarak getan, wären wir wohl im Gefängnis gelandet."

Der ägyptische Premierminister Hisham Kandil (links) auf seinem kurzen Besuch bei seinem Amtskollegen im Gaza-Streifennd Zial al-Zaza (rechts); Foto: Eyad Al-Baba/picture-alliance/landov
Lob für Mursi: Die Entscheidung des ägyptischen Präsidenten, seinen Premierminister Hischam Kandil für einen Kurzbesuch nach Gaza zu schicken, erhielt viel Unterstützung in der ägyptischen Bevölkerung.

​​Der Druck auf Mursi ist enorm. Denn egal wie zerstritten Ägyptens politische Parteien auch sind: Im Hass auf Israel sind sich alle einig. Eine zu schwache Reaktion würde die Umfragewerte des demokratisch gewählten Präsidenten also erheblich sinken lassen.

Bereits im nächsten Jahr stehen Parlamentswahlen und zuvor ein Referendum über die neue Verfassung an. Die Führung der Muslimbruderschaft, Mursis politische Heimat, hat daher schon am Donnerstag zu Protesten aufgerufen.

Dass Mursi seinen Premierminister Hischam Kandil für einen dreistündigen Besuch nach Gaza geschickt hat, haben ihm viele Ägypter hoch angerechnet. Auch Nour El-Din Selim lobt Mursi dafür: "Das ist ein sehr guter Schritt. Es zeigt den Menschen in Palästina, dass das ägyptische Volk und die Regierung mit ihnen und sie nicht alleine sind."

Ägyptens Premier als Vermittler zwischen Israel und Hamas?

So hängt die geringe Zahl an Demonstranten auf dem Tahrirplatz auch mit dem bisher klugen Vorgehen des Präsidenten zusammen. Ob der Besuch des Premierministers über Symbolik hinausgeht, ist noch nicht klar zu beantworten. US-Präsident Barack Obama hatte Mursi zuvor aufgefordert, zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln. Die radikalislamische Hamas verwaltet den Gazastreifen.

Die Äußerungen des Premierministers in Gaza dürften Israel jedoch wenig gefallen haben. An einer Stelle sagte Kandil: "Die ägyptische Revolution wird nicht aufhören, sich darum zu bemühen, diesen Angriff zu beenden, einen Waffenstillstand zu schließen, der andauert bis ein fairer und umfassender Frieden erreicht wurde, und ein Palästinenserstaat mit Jerusalem als Hauptstadt existiert." Das geteilte Jerusalem als Hauptstadt eines Palästinenserstaates wäre für Israel kaum tolerierbar. Sollte es sich nicht nur um Propaganda gehandelt haben, kann man Kandils Äußerungen also nur schwer als Vermittlungsversuch deuten.

Kein Einknicken vor USA und Israel

Doch Präsident Mursi darf es sich mit den USA nicht ganz verderben. Er steht unter hohem Druck, die marode ägyptische Wirtschaft wieder in Schwung zu bekommen. Ohne wirtschaftlichen Aufschwung werden die Muslimbrüder und Mursi ihre Macht nicht stabilisieren können. Und es sind die USA, die wesentlich darüber mitentscheiden, ob Ägypten dringend benötigtes Geld des Internationalen Währungsfonds erhalten wird.

Eine palästinensische Frau steht vor ihrem zerstörten Haus in Gaza-Stadt; Foto: Reuters/Mohammed Salem
"Warum glauben Obama und die US-Regierung, dass Israel palästinensische Kinder und Frauen töten oder zivile Gebäude und Schulen zerstören darf, ja ein ganzes Volk zerstören darf? Verstehen sie das unter Menschenrechte?"

​​Auch das ist ein Grund, weshalb Mursi den Friedensvertrag mit Israel bisher nicht infrage gestellt hat. Sollte Israel in Gaza jedoch eine blutige Bodenoffensive starten, stünde Mursi mit dem Rücken zur Wand. Denn die Wut auf die Unterstützung Israels durch die USA ist groß.

Ahmed Fuad schüttelt nur den Kopf, wenn er daran denkt: „Warum glauben Obama und die US-Regierung, dass Israel palästinensische Kinder und Frauen töten oder zivile Gebäude und Schulen zerstören darf, ja ein ganzes Volk zerstören darf? Verstehen sie das unter Menschenrechte?“

Ein Einknicken vor den verhassten USA und Israel würde Mursis Glaubwürdigkeit schwer beschädigen. Die Wut unter den Ägyptern auf Israel und die USA könnte Mursi daher sogar zu einem Bestehen auf Neuverhandlungen des Friedensvertrages zwingen. Eine weitere Eskalation der israelischen Militäroperationen gegen Gaza birgt daher große Gefahr für die ägyptisch-israelischen Beziehungen.

Matthias Sailer

© Deutsche Welle 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de