Gegen den Strom des Hasses

In seiner Glosse geißelt der populäre ägyptische TV-Moderator und Satiriker Bassem Youssef die wachsende Intoleranz und politische Borniertheit im heutigen Ägypten jenseits der ideologischen Lager.

Von Bassem Youssef

Herzlichen Glückwunsch, allerseits: Wir sind endlich die Muslimbruderschaft für immer losgeworden. Was für eine Erleichterung!

Endlich haben wir ein Ägypten ohne Muslimbruderschaft und es wird, so Gott will, auch keine Salafisten geben. Es ist nur eine Frage von Tagen bis die Mitglieder der Muslimbruderschaft wieder einmal im Gefängnis sitzen und Ägyptens Normalzustand wiederhergestellt ist. Dieser Normalzustand, wo die Menschen gut aussehen ohne Bärte oder Niqabs – jene "gutaussehenden Menschen“, die wir immer wieder im Fernsehen sehen... Ägypten wird endlich ein freies, liberales Land sein. Auf Nimmerwiedersehen, Islamisten.

Wie bitte?! Einige Mitglieder der Muslimbruderschaft sind vor dem Sitz der Republikanischen Garde in Kairo gestorben? Na, was hatten die denn dort überhaupt verloren? Sind wir denn im Grunde genommen nicht froh darüber, dass es ihnen so ergangen ist? Wie? Da will nicht so recht Freude aufkommen?! Dann musst du wohl ein Anhänger der Muslimbrüder sein! Ein Feind des Militärs und des Staates! Und wahrscheinlich arbeitest du noch nebenberuflich als Terrorist, wie?!

Nein. Ich stehe aber hinter dem, was am 30. Juni geschah. Und ich bin auch der Meinung, dass Mursi als Präsident ungeeignet war. Doch das ändert nichts an meiner Überzeugung, dass der Vorfall am Sitz der der Republikanischen Garde in Kairo gründlich untersucht werden muss. Auch würde ich gerne wissen, wie lange die Fernsehkanäle der Islamisten geschlossen bleiben? Auch meine ich, dass unsere Privatmedien derzeit nur so vor Diskriminierung und hetzerischer Rhetorik strotzen.

Soldaten sichern den Sitz der Republikanische Garde in Kairo ab; Foto: DW
Blutige Konfrontation unweit des Offiziersclubs der Republikanischen Garde in Kairo: In der Nacht zum 8. Juli starben dort mindestens 42 Menschen nach Angaben der Rettungsdienste, weit über 300 wurden verletzt. Die Muslimbrüder hatten vor dem Gebäude gegen die Absetzung des Präsidenten Mohammed Mursi demonstriert, der dort angeblich festgehalten wird.

​​Nein, nein. Du bist wirklich zu weichherzig! Behalte doch deine Menschenrechte für dich. Diesen Leuten kann man schließlich nur mit Gewalt begegnen. Wir müssen das Land von diesen Menschen säubern.

Radikale und Siegestrunkene

Genau diese Sätze spiegeln die Haltung vieler wieder, die sich gerade in einem Siegesrausch befinden – oder sich dies zumindest einbilden. Der Starrsinn und Radikalismus dieser Menschen unterscheidet sich im Grunde genommen nicht von dem der Islamisten, die denken, dass die Auslöschung ihrer Feinde ein Sieg für die Religion Gottes sei. Aber jene Siegestrunkenen denken völlig anders zu sein: Sie rechtfertigen ihren Faschismus mit dem angeblichen Dienst zum "Wohl des Landes".

Diese Leute mit ihren liberalen Werten und ihrer Ehrfurcht vor der Freiheit unterscheiden sich nur wenig vom radikalen Prediger Khaled Abdullah, den "religiösen Mann", der berüchtigt ist für seine Aussage "Möge Gott uns von euch und euresgleichen [den Liberalen] befreien."

Ich traue den Muslimbrüdern nicht. Aus persönlicher Erfahrung haben wir gelernt, dass sie ihr Wort nicht halten und immer wieder lügen, solange es ihrer politischen Propaganda dient. Sie haben ihre Mittel und Wege, die Religion zu manipulieren und ihre Aktionen zu rechtfertigen, wenn es ihrer Politik nützt.

Diffamierung als Teil der politischen Strategie

Die Muslimbrüder und die Salafisten bedachten den Abgeordneten Mostafa Bakry im Parlament mit stehenden Ovationen, als er Mohammed ElBaradei des Verrats bezichtigte. Sie unterstützten ägyptische Staatssicherheit, als diese friedliche Demonstranten attackierten. Und sie nannten diejenigen, die auf dem Tahrir-Platz Sitzblockaden abhielten, Verbrecher, Spione, Homosexuelle und Drogenabhängige.

Die Islamisten waren die ersten, die sich beim Militär anbiederten. Sie betrachteten jeglichen Widerstand gegen den Obersten Militärrat als Angriff auf den Staat. Sie waren es, die ganz begierig darauf waren, den Kopten offen das Vertrauen abzusprechen, während sie ihre Opfer der blutigen Zusammenstöße von Maspero beflissentlich ignorierten, und beschuldigten sie des Verrats sowie der Verschwörung mit dem Westen.

Ja, die Muslimbruderschaft hat all das und noch mehr getan, ihr Vertrauen in der Öffentlichkeit zu verspielen. Kein Wunder also, dass die Massen gegen Mursi rebellierten. Seine Organisation verdiente den Abscheu der Bevölkerung. Und man sollte gegen die führenden Kader der Bruderschaft wegen des Verdachts auf Anstachelung zu Gewalt und wegen ihrer dubiosen internationalen Beziehungen dringend Ermittlungen einleiten – eine zwingende politische und rechtliche Konsequenz.

Mursi-Anhänger demonstrieren vehement gegen die Entmachtung des ehemaligen Präsidenten; Foto: Reuters
Brüder in Rage: Youssef wirft den Islamisten der Muslimbruderschaft vor, sie seien die ersten gewesen, die sich nach Mubaraks Sturz beim Militär anbiederten. Ironischerweise ist es nun genau das Militär, das die Muslimbruderschaft wieder entmachtet hat.

​​Davon abgesehen haben wir es auch mit einem humanitären Problem zu tun. Menschen haben ihr Leben verloren, ganz gleich ob nun die Muslimbruderschaft oder der Oberste Militärrat dafür verantwortlich war – oder ob es sich um Zivilisten handelte, die tagtäglich von der ausgedehnten Sitzblockade im Stadtteil Raba'a Al-Adaweyya betroffen waren.

Es gibt Demonstranten der Muslimbrüder, die glauben, dass sie sofort getötet oder inhaftiert werden, wenn sie den Sitzstreik verlassen. Diese Leute werden niemals verschwinden. Und sollten sie das Protestcamp Raba'a Al-Adaweyya verlassen, so werden sie hasserfüllt, frustriert und enttäuscht nach Hause zurückkehren, was sich im Süden Ägyptens und dem vernachlässigten Nildelta noch verstärken wird. Sie werden wiederkommen, noch gewalttätiger und entschlossener als zuvor.

Den Grips eines Goldfischs

Dieser "Siegestaumel", diese Arroganz, der man in den Privatmedien gewahr wird, sind genau die Art von Verhalten, welche die Ära der Muslimbruderschaft beendete und ihre Popularität zerstörte. Wir wiederholen gerade genau dieselben Fehler wie die Bruderschaft. Es ist, als ob wir das Gedächtnis eines Goldfischs hätten.

Zahllose Menschen feiern am 30. Juni Mohammed Mursis Absetzung durch das Militär; Foto: Reuters
Der 30. Juni 2013 - Zeitenwende für ein neues demokratisches Ägypten oder Neubeginn einer Militärdiktatur? "Dieser 'Siegestaumel', diese Arroganz, der man in den Privatmedien gewahr wird, sind genau die Art von Verhalten, welche die Ära der Muslimbruderschaft beendete und ihre Popularität zerstörte. Wir wiederholen gerade genau dieselben Fehler wie die Bruderschaft", meint Bassem Youssef.

​​Ich glaube, dass die Schließung der islamistischen Fernsehkanäle eine wichtige Entscheidung in einer sensiblen Phase war, aber nun sollte man da Verbot doch endlich aufheben. Lasst sie doch reden wie sie wollen! In der Vergangenheit führte das nur dazu, dass man von ihnen umso mehr abgestoßen war. Gebt ihnen nicht die Chance, sich als Opfer zu stilisieren. Wovor habt ihr eigentlich Angst? Vor ihrer diskriminierenden Medienrhetorik? Oder vor ihrer der Öffentlichkeit preisgegebenen politischen Idiotie?

Mein lieber Antimuslimbruderschafts-Liberaler! Erlaube mir, dich daran zu erinnern, dass du dich vor nur ein paar Wochen verzweifelt darüber beschwert hast, wie düster die Zukunft doch aussähe. Doch jetzt, da du von der Bruderschaft "befreit" wurdest, bist du zu einem genauen Abbild ihres Faschismus und ihrer Diskriminierung geworden.

Du könntest darauf antworten, indem du sagtest, sie hätten es verdient; dass sie die Sicherheitskräfte unterstützt und dazu benutzt hätten, dich zu überwältigen, zu betrügen, Gerüchte zu streuen und Streit zu stiften. Aber ist das wirklich dein Ernst? Hast du dir ihr abgefeimtes Verhalten zu einer besseren Alternative erkoren als die Prinzipien, für die du so lange eingetreten bist? Sie haben ihren moralischen Kompass vor langer Zeit verloren – möchtest du es ihnen gleichtun?

Die entvölkerte Insel der Menschlichkeit

Hut ab vor jenen, die ihrer Siegesfreude nicht soweit freien Lauf ließen, den anderen ihre Menschlichkeit zu nehmen. Respekt vor all jenen, die nicht im Strom aus Hass und Schadenfreude mitschwimmen. Menschlichkeit ist inzwischen eine einsame Insel inmitten eines wilden Meeres von Diskriminierung und Extremismus geworden. Auf dieser Insel leben jene wenigen Isolierten, deren Stimmen zwischen stürmischen Rufen nach Rache und Mord verklingen.

Ich bin nicht optimistisch, dass es in naher Zukunft einen Bevölkerungszuwachs auf dieser Insel geben wird. Aber vielleicht werden irgendwann Menschen dorthin auswandern und versuchen, diese Menschlichkeit neu zu entdecken, derer wir beraubt worden sind.

Am meisten Angst habe ich davor, dass wir eines Tages an dieser Insel vorbeikommen und bestürzt rufen: "Ach, dort lebt ja niemand mehr!"

Bassem Youssef

© Al-Shorouk 2013

Übersetzt aus dem Englischen von Jonas Berninger

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de