Wo sich Kulturen durchwirken

Der Louvre widmet eine neue Abteilung der Kunst des Islam – und zeigt sich dabei einmal mehr als Museum der Weltkunst. Das gelungene Projekt, das von drei Staatspräsidenten getragen wurde, sieht dabei über Fanatismus hinweg. Von Joseph Hanimann

Von Joseph Hanimann

Vor gut zwanzig Jahren bekam der Louvre mit der Glaspyramide im Napoleon-Hof seinen zentralen Eingang – und blieb doch die nie ganz überschaubare Megapolis der Meisterwerke, mit Touristenboulevards und ihren Schleichpfaden.

Das Geviert, das nun mit der neu geschaffenen Abteilung "Kunst des Islam" in einem Innenhof des Südflügels hinzukam, bringt den Louvre seinem Anspruch näher, den er seit über zweihundert Jahren hegt: ein Museum der Weltkunst zu sein. Das aus dem 18. Jahrhundert geerbte Konzept will keine Aufteilung in Spezialmuseen nach kulturgeografischen Gesichtspunkten, sondern zielt auf Kreuzung und Spiegeleffekte im Sinn einer Universalität des Kunstschaffens. Entsprechend bietet sich die neue islamische Abteilung dar, in einem Wunderwerk zeitgenössischer Museumserweiterung.

Der Louvre hat seit dem späten 19. Jahrhundert eine Sammlung mit Objekten aus dem arabisch-islamischen Raum und kaufte kontinuierlich hinzu. Sie wurden aber nur sehr partiell ausgestellt und ruhten weitgehend in den Lagern. Es war ein Hauptanliegen des derzeitigen Louvre-Direktors Henri Loyrette seit seinem Amtsantritt 2001, eine neue Abteilung zu schaffen für die fünfzehntausend Keramikgefäße, Architekturteile, Teppiche, Folianten aus der Louvre-Sammlung und die weiteren gut dreitausend Objekte aus den späteren Jahrhunderten, die sich im Pariser Musée des Arts Décoratifs angesammelt hatten.

Die religiöse Dimension der islamischen Kunst

Die Option einer Umverteilung dieser neuen Sektion auf die bestehenden Museumsräume wurde gleich verworfen. Der Entscheid einer Überdachung des Visconti-Hofs wurde von drei Staatspräsidenten getragen. Chirac bewilligte das Projekt, Sarkozy unterstützte es, Hollande hat das Département des Arts de l'Islam in der vergangenen Woche eingeweiht, mit einem schrägen Seitenblick auf die gerade wieder aufgeflammte Erregung um den Islam.

Der französische Staatspräsident François Hollande und Sophie Makariou, Leiterin islamische Kunst, in der neuen Louvre-Abteilung; Foto: dapdp
"Die islamischen Zivilisationen sind älter, lebendiger und toleranter als jene, die heute in ihrem Namen reden", erklärte Frankreichs Staatspräsident François Hollande anlässlich der Eröffnung der neuen Islam-Abteilung im Louvre und ging damit auf die Gewalt im Zuge des Muhammad-Videos und die Schändung der Mausoleen in Timbuktu ein.

​​Schon die Wahl des Namens für die neue Abteilung ist Programm. Die religiöse Dimension lässt sich aus dem Bereich der islamischen Kunst noch weniger tilgen als aus dem der christlichen Kunst. Und doch geht es im Louvre nicht um muslimische Kunstobjekte. Die Alltagsgegenstände machen vielmehr die überwältigende Mehrheit der dreitausend Exponate aus.

Auf zwei Etagen wird die durch den Islam geprägte Kunstentwicklung zwischen dem 7. und 19. Jahrhundert von Andalusien bis Indien ausgebreitet. Die Exponate wollen zwar mit ihrem künstlerischen Eigenwert nur für sich selber sprechen, erzählen aber in der – teilweise zu massiven – Anhäufung doch einen kulturgeschichtlichen Subtext. Dessen Stichwort lautet: Durchmischung und gegenseitige Beeinflussung – das Gegenteil also von obsessiver Stilreinheit.

Spätrömische Ornamentfriese zerstückeln sich in arabeske Einzelpaneelen, Öllämpchen bekommen arabische Schriftzüge, Keramikschalenmotive neigen im Ägypten des 9. Jahrhunderts zur geometrischen Abstraktion – so deuten die Vitrinen mit zahlreichen Details an. Zugleich überdauerten aber Tier- und Menschendarstellung noch lange.

Bekannt sind die Pflanzen- und Palastmosaike der Großen Moschee von Damaskus, von denen der Louvre zwei Fragmentkopien besitzt. In der ehemaligen buddhistischen Kunststadt Bamian im heutigen Afghanistan, wo die Monumentalstatuen gesprengt wurden, prunkten noch im 13. Jahrhundert Drachen auf dem Geschirr.

Einblicke in die drei großen modernen Imperien des Islam

Der chinesische Einfluss in der Keramikglasur bleibt in Mittelasien während Jahrhunderten feststellbar. Aus Ägypten wiederum wirkte das Schlangenmotiv nach, bis es geometrisch aufgelöst wurde. Bestimmend bleibt für weite Teile des islamischen Raums, dass die bildliche Allgegenwart der Schriftzüge auf Vasen, Kacheln, Friesen, Grabstelen und Kriegshelmen lange zwischen rein dekorativer, religiöser und oft auch magischer Funktion schillerte.

Spätrömisches Mosaik aus dem arabischen Raum; Foto: AP
Kunstabteilung der Superlative: Auf 3.000 Quadratmetern werden in der neuen Islam-Abteilung im Louvre rund 3.000 Kunstwerke ausgestellt, die die Vielfalt der Kunst von Spanien bis Indien und vom Jahr 622 bis zum 19. Jahrhundert widerspiegeln.

​​Die Zeit nach dem 16. Jahrhundert wird im Louvre-Untergeschoss dann vorwiegend über die Kunstproduktion der drei großen modernen Imperien des Islam aufgefächert: dem Osmanischen Reich im Westen, der Mogul-Dynastie in Indien und der schiitischen Safawiden-Herrschaft in Persien.

Den beiden Architekten Mario Bellini und Rudy Ricciotti war klar, dass für die kleinteiligen Exponate dieser Sektion keine große Hofüberdachung wie für die Monumentalskulpturen in anderen Flügeln des Louvre infrage kam. Sie zogen deshalb ein sich wellendes Glas- und Metallgitterdach mit zeltartigen Schrägstützen in den Hof und setzten den Neubau gegenüber den bestehenden Innenfassaden leicht auf Distanz, sodass ein reizvolles Vis-à-vis mit dem üppigen Fassadenschmuck entsteht.

Diskrete Majestät

Im Parterre herrscht ein goldgelb gefiltertes Tageslicht, im Untergeschoss mit den großformatigen Teppichen, Kachelwänden und Haustoren Halbdämmerung. Eingeschwärzter Beton auf den Seitenwänden und Metalleinlagen auf dem Boden verleihen den Räumen eine diskrete Majestät, die auch Besucherströmen trotzt.

Wasserbehältnis: Bronzener Löwe aus dem spanischen Monzon, 12. bis 13. Jahrhundert; Foto: © Louvre
Meisterwerk islamischer Kunst: Zu den Prunkstücken der neuen Sektion "Islamische Kunst" im Louvre zählt auch der bronzene Löwe aus dem spanischen Monzon (12. bis 13. Jahrhundert), der als Wasserbehälter diente.

​​Sinnfällig ist vor allem die Einbindung der neuen Räume in die bestehende Louvre-Topografie. Zwei Verbindungswege führen nach Norden unmittelbar in die griechischen Säle, ein Gang leitet nach Osten zur koptischen Kunst Ägyptens. Zur Südseite hin wurde im Zusammenhang mit dem Neubau die römische Antiquitätensammlung aus dem östlichen Mittelmeerraum vollkommen umgestaltet.

Die Mosaikteile aus Antiochien, in der heutigen Türkei, oder aus der frühchristlichen Kirche in Qabr Hiram, dem früheren Tyra im heutigen Libanon, kommen hier erstmals zu ihrer vollen Entfaltung. In diesen Sälen des mittel- und spätrömischen Reichs feiert die Kulturdurchmischung Freudenfeste. Ein ägyptischer Horus aus Bronze grüßt neben einer Eros-Figur aus Ton und einem marmornen Dionysos.

Unter Henri Loyrette ist der Louvre zu einem Weltmuseum mit den modernsten Methoden des Managements geworden. Ein ägyptisches Mameluken-Gewölbe aus dem 15. Jahrhundert und ein Moucharabieh-Teil aus dem 18. Jahrhundert wurden zur Hälfte – für 600.000 Euro – aus einem Mäzenatenprogramm restauriert. Der Louvre versteht nicht nur, seinen Namen für teures Geld nach Abu Dhabi zu exportieren, sondern auch, sich in den eigenen Mauern ausgiebig von anderen Staaten mitfinanzieren zu lassen.

Von den hundert Millionen Euro für den Ausbau hat der Staat nur knapp ein Drittel übernommen. Der Rest kam aus Eigenmitteln des Louvre, von Privatmäzenen und zu über einem Viertel vom König Marokkos, dem Emir von Kuwait, dem Sultan von Oman und der Republik Aserbaidschan.

Was auf den ersten Blick wie Verfilzung einer Kulturinstitution mit globalen Imagestrategien aussehen mag, bleibt in diesem Falle vertretbar, weil der Louvre auf seine Unabhängigkeit achtet. Museumspolitik geht einstweilen noch über Tagespolitik. Das sichtbare Ergebnis ist überzeugend und demonstriert eine faszinierende Verschränkung zwischen westlicher und islamischer Welt, die über Fanatismus hinwegsieht.

Joseph Hanimann

© Süddeutsche Zeitung 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de